Psychotherapie

Gewalt gegen Frauen

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Gewalt gegen Frauen – Ein psychologischer Blick auf ein gesellschaftliches Tabuthema

Gewalt gegen Frauen ist kein Randphänomen – sie ist traurige Realität im Leben vieler Frauen, unabhängig von Alter, Herkunft, Bildung oder sozialem Status. Aus psychotherapeutischer Sicht ist es essenziell, das Thema nicht nur gesellschaftlich, sondern auch individuell ernst zu nehmen, da die psychischen Folgen oft gravierend und langanhaltend sind.

Aktuelle Zahlen – Ein Blick in die Realität

Laut der vorläufigen Gewaltschutzbilanz des österreichischen Innenministeriums wurden im Jahr 2024 rund 14.600 Betretungs- und Annäherungsverbote ausgesprochen – ein leichter Rückgang gegenüber den 15.115 Fällen im Jahr 2023. Zudem wurden etwa 12.500 Gefährder weggewiesen, was ebenfalls einen leichten Rückgang im Vergleich zum Vorjahr darstellt.

Besonders alarmierend ist die Zahl der Tötungsdelikte an Frauen: Bis zum 25. November 2024 wurden 28 Morde an Frauen registriert, wobei vier der Opfer unter 14 Jahre alt waren. 

Eine EU-weite Umfrage aus dem Jahr 2024 zeigt, dass 35,7 % aller Frauen in Österreich bereits Gewalt erlebt haben oder damit bedroht wurden.

Psychologische Folgen – Was Gewalt mit der Psyche macht

Aus psychotherapeutischer Sicht sind die Folgen häuslicher oder sexualisierter Gewalt oft tiefgreifend und langfristig. Zu den häufigsten psychischen Reaktionen gehören:

  • Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS): Wiedererleben der Gewalt in Form von Flashbacks, Albträumen, Vermeidungsverhalten, Hypervigilanz.

  • Depressionen: Anhaltende Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit, Schuldgefühle.

  • Angststörungen: Generalisierte Angst, Panikattacken, soziale Rückzugsbewegung.

  • Bindungs- und Vertrauensprobleme: Schwierigkeiten in späteren Partnerschaften, Verlust des Sicherheitsgefühls.

  • Somatisierung: Körperliche Beschwerden ohne organische Ursache, die Ausdruck psychischer Belastung sind.

Besonders problematisch ist, dass viele Betroffene lange Zeit schweigen – aus Angst, Scham oder Sorge, nicht ernst genommen zu werden. Gewalt hinterlässt nicht nur blaue Flecken, sondern tiefgreifende innere Verletzungen.

Die Rolle der Psychotherapie

Psychotherapie bietet einen geschützten Raum, in dem traumatische Erfahrungen aufgearbeitet werden können. Im Fokus stehen:

  • Stabilisierung und Sicherheit: Wiederaufbau von innerer und äußerer Sicherheit.

  • Traumabearbeitung: In Verfahren wie der EMDR oder traumafokussierten kognitiven Verhaltenstherapie.

  • Selbstwertstärkung: Rückgewinnung von Selbstwirksamkeit und Vertrauen in die eigene Wahrnehmung.

  • Auflösung von Scham und Schuld: Gewalt ist nie die Schuld der Betroffenen – diese Einsicht ist zentral für die Heilung.

Therapie kann helfen, das Geschehene zu verstehen, emotionale Reaktionen zu regulieren und den eigenen Lebensweg wieder selbstbestimmt zu gestalten.

Prävention und Verantwortung

Die Verantwortung liegt nicht bei den Betroffenen, sondern bei uns als Gesellschaft. Es ist unsere kollektive Pflicht, die Strukturen und Einstellungen zu verändern, die Gewalt gegen Frauen ermöglichen oder begünstigen. Gewaltprävention beginnt mit Bildung, die nicht nur Wissen vermittelt, sondern auch Werte wie Respekt und Gleichberechtigung fördert. Bewusstseinsbildung ist entscheidend, um die Gesellschaft für die Problematik zu sensibilisieren und Vorurteile abzubauen, die oft dazu führen, dass Gewalt verharmlost oder ignoriert wird. Der Abbau von Tabus ist ein weiterer wichtiger Schritt, um das Schweigen zu brechen und Betroffenen den Mut zu geben, Hilfe zu suchen.

Erforderlich sind leicht zugängliche Unterstützungsangebote, die es Frauen ermöglichen, schnell und unkompliziert Hilfe zu erhalten. Dazu gehören mehr Schutzräume für Frauen, die ihnen Sicherheit und Geborgenheit bieten. Eine verbesserte Schulung von Polizei und Justiz ist unerlässlich, um sicherzustellen, dass diese Institutionen kompetent und einfühlsam mit Fällen von Gewalt umgehen. Schließlich ist eine psychologisch informierte Gesellschaft notwendig, die den Betroffenen mit Empathie begegnet und ihnen das Gefühl gibt, gehört und verstanden zu werden. Nur durch ein gemeinsames Engagement können wir eine Umgebung schaffen, in der Gewalt gegen Frauen keinen Platz mehr hat.

Hilfe und Anlaufstellen

Wenn Sie selbst betroffen sind oder jemanden kennen, der Hilfe braucht, finden Sie hier wichtige Anlaufstellen:

  • Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 222 555 (rund um die Uhr, anonym und kostenlos)

  • Gewaltschutzzentren Österreich: www.gewaltschutzzentrum.at

  • Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF): www.aoef.at


Fazit

Gewalt gegen Frauen ist ein tief verwurzeltes psychologisches und gesellschaftliches Problem mit weitreichenden Auswirkungen auf die Betroffenen. Diese Gewalt greift nicht nur die körperliche Unversehrtheit, sondern auch die psychische Gesundheit und das soziale Wohlbefinden der Frauen an. Als Psychotherapeut:innen haben wir die Verantwortung, genau hinzusehen, die Betroffenen einfühlsam zu begleiten und das Schweigen zu brechen, das oft mit Scham und Angst verbunden ist. Unsere Aufgabe ist es, einen sicheren Raum zu schaffen, in dem Frauen ihre Erfahrungen teilen können, ohne verurteilt zu werden, und die Unterstützung finden, die sie benötigen. Jeder Schritt zur Heilung beginnt mit dem Glauben an die eigene Stärke und der Gewissheit, nicht allein zu sein. Es ist entscheidend, den Betroffenen klarzumachen, dass die Schuld bei den Tätern liegt. Diese Einsicht ist der erste Schritt zur Heilung und zur Kontrolle über das eigene Leben. 

Du bist nicht allein - Es war nicht deine Schuld - Es gibt einen Weg heraus



 

Nicole Reischer

Autor: Nicole Reischer