Wenn Positivität trennt: Warum „Das wird schon wieder“ selten hilft
In unserer Alltagskultur sind positive Sätze wie
„Das wird schon wieder“, „Denk doch mal positiv“ oder „Du schaffst das schon“ allgegenwärtig.
Sie sollen trösten, ermutigen und Hoffnung machen.
Doch aus psychotherapeutischer Sicht ist ihre Wirkung oft das Gegenteil von heilsam.
Solche Sätze wirken freundlich, aber sie unterbrechen den Kontakt zum Erleben – sowohl im Gegenüber als auch in uns selbst. Sie beruhigen kurzfristig, verhindern aber langfristig emotionale Integration und echte Veränderung.
Das psychologische Prinzip hinter beschwichtigender Positivität
Aus Sicht der Transaktionsanalyse handelt es sich bei solchen Aussagen häufig um eine unbewusste Form der Abwehr – meist aus einem elterlichen Ich-Zustand heraus, der zwar das Bedürfnis hat, zu beschützen oder zu beruhigen, aber dabei letztlich Distanz schafft. Das sogenannte Eltern-Ich möchte helfen und Halt geben, doch es übergeht dabei die tatsächlichen Gefühle des Gegenübers. Das Kind-Ich der anderen Person, das in dem Moment Schmerz, Angst oder Hilflosigkeit empfindet, wird dadurch nicht wirklich wahrgenommen oder verstanden, sondern lediglich beruhigt oder sogar korrigiert. Anstatt das Erleben des Gegenübers zu anerkennen, erfolgt eine Umschichtung in Richtung Beruhigung oder Trost, der aber am eigentlichen Gefühl vorbei geht.
Die vermeintliche Positivität scheint auf den ersten Blick unterstützend zu sein, dient in Wahrheit jedoch weniger dem Wohl des anderen, sondern primär unserem eigenen Bedürfnis nach Schutz vor unangenehmen Gefühlen.
Indem wir Leid oder schwierige Emotionen vorschnell „wegtrösten“, entziehen wir uns unserem eigenen Unbehagen, das durch das Mitgefühl mit dem Schmerz des anderen entsteht. Das unmittelbare Ergebnis ist häufig, dass echter Kontakt und emotionale Verbundenheit verlorengehen.
Die Wirkung auf der Beziehungsebene
Wenn Gefühle nicht bezeugt, sondern positiv überdeckt werden, entstehen subtile, aber folgenreiche Prozesse:
Das Gefühl wird relativiert oder entwertet („So schlimm ist es also gar nicht“).
Das innere Erleben wird nicht bestätigt, sondern umgelenkt („Ich sollte mich anders fühlen“).
Die betroffene Person bleibt mit ihrem Schmerz allein – häufig begleitet von einem Gefühl der Scham.
In der Sprache der Transaktionsanalyse:
Der Kontakt bricht ab, und es entsteht eine pseudokomplementäre Transaktion – oberflächlich freundlich, aber emotional leer.Psychotherapie beschönigt nicht – sie bezeugt
Psychotherapie schafft genau den Raum, in dem Gefühle nicht beschönigt, sondern bewusst erlebt werden dürfen. Sie ist kein Ort der bloßen Beruhigung, sondern vielmehr ein Ort der Bewusstwerdung und Integration. Hier wird nicht versucht, Schmerz, Angst oder Unsicherheit „wegzumachen“, sondern ihnen mit Offenheit und Akzeptanz zu begegnen. In einer therapeutischen Beziehung darf das Unangenehme ohne Bewertung oder Eile bestehen – ohne Druck zur Veränderung, ohne Zwang zur Positivität, und ohne dass sofort eine Lösung oder ein Ausweg gesucht werden muss. Gerade diese Erlaubnis, alles was da ist auszuhalten, schafft die Möglichkeit, dass sich Gefühle in ihrem eigenen Tempo wandeln können.
Diese innere und äußere Haltung im therapeutischen Kontakt ermöglicht:
– Emotionale Integration statt innerer Spaltung: Gefühle, die vorher vielleicht abgespalten oder verdrängt wurden, dürfen wieder Teil des eigenen Erlebens werden und finden einen Platz im Ganzen.
– Selbstkontakt statt Abwehr: Statt sich vor den eigenen Emotionen zu schützen, wird der Kontakt zu sich selbst gestärkt – man lernt, die eigenen Empfindungen wahrzunehmen und anzunehmen, auch wenn sie schmerzhaft sind.
– Autonomie statt Anpassung: In dem geschützten Rahmen entsteht Raum für Selbstbestimmung – eigene Bedürfnisse, Grenzen und Wünsche können erkannt und vertreten werden, unabhängig davon, was das Umfeld erwartet.
Psychotherapie wirkt also nicht, weil sie bloß tröstet oder beschwichtigt, sondern weil sie ehrlich und authentisch bleibt. Sie hält gemeinsam mit der Klientin oder dem Klienten auch das Schwere aus, ohne vorschnell zu besänftigen oder zu glätten – und genau in dieser aufrichtigen Begleitung entfaltet sich ihre heilsame Kraft.
Wie wir im Alltag anders begegnen können
Auch außerhalb der Therapie kann diese Haltung heilsam wirken.
Statt schnell trösten zu wollen, können wir einfach da bleiben – präsent, zugewandt, offen.Ein Satz wie
„Ich sehe, dass das gerade weh tut“
verbinden mehr als jedes „Kopf hoch!“.Echte Beziehung entsteht dort, wo Gefühle gesehen werden, nicht dort, wo sie weggeredet werden.
Fazit: Vom positiven Denken zum ehrlichen Fühlen
Positivität, die beschwichtigt, beruhigt – aber sie trennt.
Psychotherapie und echte Begegnung gehen einen anderen Weg:
Sie reden nicht schön, sie bezeugen.
Sie deuten nicht um, sie halten aus.So entsteht echter Kontakt, emotionale Tiefe und nachhaltige Veränderung –
nicht durch Optimismus, sondern durch ehrliche, mitfühlende Präsenz.
